Parolen im Tunnel

Shownotes

Dies ist ein Podcast der Stiftung Friedliche Revolution Leipzig - er wird von den Journalisten Björn Menzel und Pierre Gehmlich produziert. Die Stiftung betreut im Auftrag der Stadt Leipzig das Projekt rund um die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Leipzig. Es wird gemeinsam gefördert durch die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, den Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig.

Links: Stiftung Friedliche Revolution: https://www.stiftung-fr.de/ Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: https://freiheitsdenkmal-leipzig.de/

Credits: Produktion: Björn Menzel und Pierre Gehmlich; Specher:innen: Carolin Voigt, Pierre Gehmlich, Björn Menzel; Musik: Nando Lierath; Episoden-Cover: Jürgen Tallig; Podcast-Cover: ABL/Bernd Heinze; Original-Töne: Siegbert Schefke, Aram Radomski; Cover-Design: Steffen Bertram

Wir freuen uns über Hinweise und Anregungen unter Mail: presse.neuigkeit@gmail.com

Kommentare (2)

Jürgen Tallig

Danke für den engagierten Beitrag meines früheren Mitstreiters Roger Schaumberg. Seine Einschätzung hat mich an meinen Artikel , "Rowdys, Helden und Spaziergänger- subjektive Überlegungen zur Realität einer Legende" von 1990 erinnert, erschienen in der Zeitschrift "Das Parlament", der genau da einsetzt, wo der Podcast endet und das Jahr bis zur Wirtschafts- und Währungsunion kritisch bewertet, was sicher von Interesse sein dürfte. Hier der Link zu meiner Website, dort kann man den Artikel nachlesen: https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com/heldenstadt/ Dann möchte ich den Podcast gerne noch visuell ergänzen und weise auf die Fotos der Losungen im Tunnel hin, die die Stasi dankenswerterweise gemacht hat. Die finden sich auch auf meiner Website, unter folgendem Link: https://earthattack-talligsklimablog.jimdofree.com/bilder-doku/ (Falls die Links nicht aktiv sind, einfach in den Browser kopieren.) Abschließend noch ein interessanter Auszug aus Roger Schaumbergs Artikel "Einige Überlegungen und historische Richtigstellungen zum 30ten Jahrestag der Friedlichen Revolution" von 2019: "Gab es in Leipzig eine organisierte SED-Opposition? Das würde ich verneinen, vielleicht mit Ausnahme der Gruppe Neues Denken, der einzigen Basisgruppe vor 1989, die ausschließlich im öffentlichen Raum agierte und sich von der Stasi nicht unter das Dach der Kirche drängen ließ. Im Sommer 1989 wurden zwar dann Hunderte und im Oktober schließlich Tausende SED-Mitglieder auch außerhalb ihrer Partei aktiv, weil sich die SED-Strukturen als nicht reformierbar (insbesondere im Sinne von Glasnost und Perestroika Gorbatschows) herausstellten,- aber das waren zu wenige und das kam viel zu spät. Daraus einen „revolutionären Flügel“ in der SED zu konstruieren, wäre unzutreffend. Legitim ist es, von einer im Sommer 1989 stark zunehmenden reformwilligen Strömung in der SED zu sprechen. Selbst die Gruppe Neues Denken als SED-Opposition zu bezeichnen wäre unzutreffend, denn in ihrer Kerngruppe gab es nur 4 SED-Mitglieder. Es ist vermutlich zutreffend, sie als eine „Glasnost und Perestroika-Gruppe“ für einen erneuerten demokratischen und ökologischen Sozialismus zu bezeichnen, was sie aber nicht automatisch bei der späteren PDS oder der Linken verortet: dazu waren ihre emanzipatorischen, ökologischen und radikaldemokratischen Ansprüche viel zu fundamental. Die Gruppe hatte ihre Eigenheiten, war aber jederzeit mit anderen Basisgruppen wie z.B. „IG Frieden und Menschenrechte“ oder „IG Leben“ u.a. über persönliche Einzelkontakte vernetzt und koordiniert. Bei der konstituierenden Sitzung der Leipziger Stadtverordnetenversammlung im Neuen Rathaus zeigte sich im Frühsommer 1989 zum ersten Mal eine beginnende Spaltung in der SED, die, wie wir heute wissen gerade in Leipzig bis in Strukturen der Staatssicherheit hineinreichte und letztlich dazu führte, das der SED-Apparat im Oktober/ November 89 mehrheitlich nicht mehr bereit war die Macht des alten Politbüros zu verteidigen,- die Strukturen kollabierten. Als im Wandelgang des Neuen Rathauses die üblichen „gesellschaftliche Kräfte“ (von der Stasi organisierte `zuverlässige Parteimitglieder´) auf der einen Seite, plötzlich etwa 30 von der Gruppe Neues Denken organisierten Wahlkontrolleuren gegenüberstanden, die "Gegen die Gültigkeit der Wahl in Leipzig Mitte Widerspruch“ einlegten und von denen nicht wenige ebenfalls Parteiabzeichen trugen, waren die regimetreuen SED-Ordner sichtlich schockiert. Insgesamt hatte die Gruppe Neues Denken im Wahlkreis Leipzig-Mitte in 84 Wahllokalen fast alle Zahlen erfasst. Neben der etwa 15 köpfigen Kerngruppe, die seit Anfang 1988 aktiv war und einem etwa gleichgroßen „erweiterten Freundeskreis“, gab es viele Wahlkontrolleure von der Uni Leipzig, darunter nicht wenige SED-Mitglieder. Es machte die Staats- und Stasi-Führung natürlich ganz besonders unruhig, wenn sich in ihrer Machtbasis, der SED, politische Erosionserscheinungen zeigten. Davon zeugt auch ein Bericht, der es bis auf Mielkes Tisch schaffte, und in dem berichtet wird, wie in der SED-Stadtleitung, der SED-Bezirksleitung und der FDJ-Bezirksleitung ein Mitglied der Gruppe Neues Denken (SED-Mitglied!!) von Raum zu Raum ging und in den Geschäftsräumen ein Flugblatt, verfasst von Jürgen Tallig, „Einspruch gegen die Gültigkeit der Kommunalwahl in Leipzig-Mitte“ verteilte. Eine solche Frechheit hatte der Machtapparat in seinen eigenen Geschäftsräumen bis dahin tatsächlich noch nie erlebt. Die solcherart aufklärende Person war der Autor dieses Artikels. Die Funktionäre waren derart überrascht, dass sie des flinken „Täters“ erst bei seiner Verteilaktion in den um einiges zahlreicheren Räumlichkeiten der SED-Bezirksleitung „habhaft“ wurden. Dort ließ man ihn nach einem 3-stündigen Verhör durch die Stasi gehen, auch weil der Renitent während des Verhöres im Wesentlichen mit Marx-, Engels- und Lenin-Zitaten, sowie dem Wahlgesetz der DDR argumentierte. Conclusio: 1. Es gab keine organisierte SED-Opposition in wirklich relevanten Größenordnungen in der DDR des Jahres 1989, obwohl man von einer zunehmenden Reform-Strömung sprechen kann, - im Wesentlichen entlang der Glasnost- und Perestroika-Ideen aus der Sowjetunion. Der Reformflügel ist aber viel zu spät aufgewacht und auch nur partiell innerhalb und außerhalb der SED wirklich spürbar in die politische Aktion gekommen. Es geht hier nicht um eine wie auch immer geartete Relativierung der Schuld und Verantwortung der SED und ihrer Mitglieder. Die SED hat letztlich die Chance auf eine Erneuerung und Demokratisierung von Partei und Gesellschaft schlichtweg verpennt und sich erst bewegt, als schon alles im Rutschen war. 2. Allerdingsz gab es vereinzelte SED-Mitglieder oder aus der SED hinausgeworfene bzw. ausgetretene Mitglieder, die schon weit vor dem „Heißen Herbst 1989“ politisch in Basisgruppen aktiv geworden sind und dabei dieselben Risiken wie andere Aktivisten eingingen. Eine gültige oder ehemalige Parteimitgliedschaft wurde eher strafverschärfend als „Verrat aus den eigenen Reihen“ bewertet und bot keinerlei Schutz, - im Gegenteil. 3. Die Kirche in Leipzig war am Ende der DDR der wesentliche, aber nicht ausschließliche Host der Leipziger politischen Opposition. Es ist zu würdigen, dass verantwortliche Kirchenfunktionäre sich immer wieder schützend vor die meist jungen Revolutionäre stellten. Trotzdem muss korrekt festgestellt werden: die Kirche als Institution im Sozialismus spielte eine durchaus ambivalente Rolle. Es war für die Revolutionäre von Vorteil, Räume und Strukturen der Kirche nutzen zu können. Oft genug wurden sie aber von Funktionären der Kirche auch ausgebremst, beschwichtigt, hingehalten oder sogar von Stasi-IM´s in den Strukturen der Kirchen (die es auch reichlich gab, wie die Akten belegen) ausspioniert, geschädigt und ihre Strategien im Staatsauftrag unterlaufen. Soviel historische Wahrheit muss schon sein. 4. Das Gros der SED-Mitglieder strömte auf die Straße, als es zunehmend nicht mehr gefährlich war. Karrieristen sind naturgemäß Opportunisten und Ideologien sind bei dieser Zielgruppe austauschbar. Es hätte allerdings unter der Westbevölkerung bei entsprechender Ost-Sozialisierung sicher nicht weniger SED-Mitglieder gegeben als in der DDR- Bevölkerung. Der Demonstrationsweg der Montagsdemonstrationen um das Leipziger Stadtzentrum war für gelernte DDR-Bürger eine fundamentale psychosomatische Erfahrung: auf dem knapp 5 km langen Rundweg um das Zentrum ihrer Stadt wuchs den Leipzigern und ihren Unterstützern ein Rückgrat! "Völker hört die Signale, auf zum letzten Gefecht, die Internationale erkämpft das Menschenrecht", tönte es aus voller Kehle und "Wir bleiben hier" und "Wir sind das Volk". Unglaublich! Wer dabei war, wird es nicht vergessen. Roger Schaumberg

Roger Schaumberg, Leipzig

Guter Beitrag. Ich habe damals zusammen mit Jürgen das erste Büro des Neuen Forums im 2. OG der Dreilindenstrasse eingerichtet. Ich habe die Gründung der Gruppe Neues Denken als eine von 13 Basisgruppen in Leipzig angeregt und ihr Sicherheitskonzept erarbeitet. Das war notwendig, denn die Spitzel der Stasi waren überall - Naivität war keine Option und zerstörte ganze Existenzen. Später baute ich das Netz der Sicherungsgruppe des NF für die Montagsdemos auf und leitete es, was wesentlich dazu beitrug, dass die Demo´s friedlich blieben und somit zum Erfolg der Bewegung. (Viele werden sich an die Leute mit den Schärpen erinnern, auf denen "NEUES FORUM - Keine Gewalt!" stand, die in der ersten Reihe und aller 50 m an den Flanken des kilometerlangen Zuges Gewalt und Provokationen sowohl der Stasi als auch von einzelnen Demonstranten erfolgreich deeskalierten. Auch trugen sie über Sprechchöre Inhalte und unsere Forderungen in die Demonstration. Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen gehörten der Sicherungsgruppe mehrere hundert Personen an.) Die Demos gingen ja in Leipzig auch immer an der "Runden Ecke" vorbei - der nach der Normannenstr. in Berlin (Stasizentrale) zweitwichtigste Stasi-Standort in der DDR, der während Montags hunderttausende Demonstranten "Stasi in den Tagebau" skandierend an ihm vorbeizogen, scheinbar verwaist - in Wahrheit aber eine bis an die Zähne bewaffnete Festung war. Das riesige Gebäude war verdunkelt, barg aber um die 2.000 angsterfüllte bewaffnete Mitarbeiter und hinter dem schweren Haupttor standen 2 schwere Maschinengewehre. Es gab immer einzelne Demonstranten, die die Idee hatten, das scheinbar leere Gebäude zu stürmen. Das hätte ein Blutbad gegeben und hätte unseren Zielen geschadet. Wir hatten wohlüberlegte strategische Ziele und von Gandhi´s Salzmarsch gelernt. Deshalb stand ich immer mit 30-40 Mitstreitern in einer Menschenkette vor dem Haupteingang der Stasi. Wir schützten nicht die Stasi, sondern unsere strategische Ziele. Dafür nahmen wir auch hin, das uns gelegentlich ein paar angetrunkene Hitzköpfe für "verkleidete Stasileute" beschimpften und anspuckten. War halt ne wilde Zeit. Später war ich einer der 25 Bürgerrechtler in der Verhandlungsgruppe, die nach mehreren Stunden Verzögerungstaktik am 04.12.89 letztlich die Übergabe des Gebäudes an die Bürgerbewegung erzwang, während es von mehr als Hunderttausend Demonstranten eingekesselt war. Der Mauerfall und Helmut Kohl, der nichts eiligeres zu tun hatte, als die Revolution umzudeuten und schnellstmöglich in´s Museum zu verfrachten, beendeten die Chance, Gesellschaft wirklich von unten zu gestalten. Aus stolzen ostdeutschen Revolutionären wurden Arbeitslose und Streikbrecher aus Not, die das westdeutsche Tarifsystem sprengten (auch aus Inkompetenz der westdeutschen Gewerkschaften) und die krisenhafte deutsche Wirtschaft zum Billiglohnparadies wandelten. Die Deutungshoheit der Geschichte blieb bei der politischen Klasse der längst erodierten westdeutschen Demokratie. Eine demokratische Frischzellenkur aus dem Osten war in höchstem Masse unerwünscht. Das Bild von den "armen Brüdern und Schwestern im Osten" war so bequem für´s eigene Ego, die sollten schön arm und belehrbar bleiben. Selbstbewusste Ossis mit klaren gesellschaftlichen Gestaltungsvorstellungen waren nicht nur für Kohl und den BDI ein Alptraum. Aber das hat der "Kanzler der Einheit" (der zusammen mit seinen Geheimdiensten auf Staatsbesuch in Polen und aus dem Fernsehen von der Revolution im Osten erfahren hat) ja gut wegorganisiert bekommen. Aber da war ich längst Wahlkampfleiter der Bürgerbewegung im Haus der Demokratie in der Berliner Französischen Strasse, ohne mir Illussionen darüber zu machen, wie die "Erste freie Wahl in der DDR" ausgehen würde, wo SED-Blockparteien und Stasi-geführte neue "Bürgerrechtsgruppen" als Platzhalter für Helmut Kohl in der "Allianz für Deutschland" die DDR mit Millionen Hochglanzplakaten zuklebten, während wir immer noch abfärbende A4-Flugblätter verteilten und die BILD hysterisch vor "sich reorganisierenden Stasi-Seilschaften in den Betrieben" warnte. Die Folgen einer Einheit aus Existenzangst und Panikmache, sowie einer bis heute andauernden sozialökonomischen Ost-West-Teilung, prägen das Bild von Deutschland 2024. Auch die AfD erwuchs aus diesem Sumpf verpasster - besser: nicht gewollter - Chancen. Die deutsche Einheit hätte ganz anders sein können: Geld- und Machtgier, politische Inkompetenz und eine wirklich völlig substanzlose Überheblichkeit haben es verhindert.

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